same same but
Fiene Scharp
Die Arbeiten der 1984 geborenen Künstlerin Fiene Scharp sind manchmal so filigran gearbeitet, dass man meint, sie könnten durch bloßes Betrachten Schaden nehmen. Ihren oft wie Zeichnungen wirkenden Papierschnittarbeiten liegen Raster zugrunde, deren Strukturen die in Berlin lebende Künstlerin manuell entkernt, dekontextualisiert und so neue Ordnungen offenlegt. Durch Überlagerungen entstehen dreidimensionale, verdichtete Gefüge mit neuen Flächen und Gliederungen. Sie erinnern an Strukturen, wie man sie aus der Konkreten Kunst kennt. In ihrer Ausstellung „same same but“ bei B-Part Exhibition zeigt Scharp Arbeiten aus drei ihrer Werkreihen: die flächigen Papierschnitte, die in Acrylglaskästen mehrlagig geschichteten Strukturen und die seriellen Stempelzeichnungen. Gemeinsam lassen diese Reihen Fragen nach Wiederholung und Abweichung, nach der Beziehung von manueller Arbeit und System aufscheinen.
Für die Reihe der einlagigen Papierschnitte kombiniert Scharp entweder verschiedene von ihr modifizierte Papierbögen und montiert sie so zu einer farblich und strukturbedingt unregelmäßigen Fläche oder bearbeitet jeweils einen einzelnen Bogen in gleicher Weise. Es handelt sich um antiquarisch erworbene Gebrauchspapiere – Rechnungsbücher, Logarithmentafeln, Registrierbögen – deren Seiten sie präzise bearbeitet und so zu einem Medium der Reflexion über Materialität und Lineatur, aber auch über Rationalität und Willkür werden lässt. Indem Scharp mit einem Skalpell die Weißräume zwischen den vorgedruckten Linien entfernt, verstärkt sie den Rhythmus der vorgegebenen Raster. Zugleich löst sie deren durch die Digitalisierung längst obsolet gewordene Funktionalität in einem Spiel mit Zufall und Material auf. Die bereits porösen Oberflächen der Papiere nutzend, lässt Scharp Papiergitter entstehen, deren Stege durchaus brechen dürfen und deren Zwischenräume durch verbliebene Reste bei genauem Hinsehen unregelmäßig sein können. Die von einer Druckmatrix hin zu einem Papiergitter veränderte Oberfläche ist nunmehr nicht glatt wie eine Zeichnung, sondern weist Wölbungen auf, wirft Schatten, wird plastisch. Das Material selbst wird zum Partner im Arbeitsprozess, seine Empfindlichkeit und Widerständigkeit prägen die entstehende Struktur. Es bilden sich Arbeiten zwischen Zeichnung und Objekt, zwischen Perfektion und Bruch heraus, an denen Scharp das minimal Imperfekte fasziniert.
Die Künstlerin, einst Stipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung (Else-Heiliger-Fonds, 2015), interessiert weniger die Zeitdauer des Herstellungsprozesses als vielmehr der Prozess selbst, in dem Ordnung und Abweichung gleichermaßen Gestalt annehmen. Die daraus entstehenden Werke fordern die Betrachtenden zu einer genauen, konzentrierten Wahrnehmung heraus, in der sich aus der Nähe feine Differenzen und Verschiebungen offenbaren, und schließlich das Material Papier selbst.
In der Werkreihe der Acrylglaskästen überlagern sich bearbeitete Papierbögen gleicher Provenienz, darunter Steuerformulare. Die jeweils zwei bis drei Lagen der Schnitte sind hier durch Acrylglasscheiben voneinander getrennt, was eine andere Materialität evoziert, den Arbeiten zwar vergleichsweise Leichtigkeit nimmt, ihnen aber Architektonisches gibt. Die Papierraster sind gegeneinander verschoben, wodurch systematische Wiederholung und ihre Brüche anders ins Gewicht fallen. Die Werke wirken umso mehr ins Plastische, Räumliche und wecken eine ferne Erinnerung an Gebäude des International Style, an das Erbe der Moderne, die in ihrem Drang nach Rationalität auch Formulare wie die hier verwendeten hervorbrachte.
Auch bei den Stempelzeichnungen im DIN-A4-Format, die in der Ausstellung als offenes Raster gehängt sind, so ein Ensemble bilden, das durch Leerstellen auch die Wand als mitgestaltendes Element einbezieht, meint man bisweilen dieses Echo zu vernehmen. Dies ist umso interessanter, weil sich das Raster auf den einzelnen Papierbögen erst durch das manuelle Wiederholen ergibt, das additive Verfahren des Stempelns ein nur scheinbar maschinelles Gerüst hervorbringt. Je nach Entfernung der Betrachtenden zu den verschiedenfarbigen, nun zeichnerisch bearbeiteten Papieren wandelt sich die scheinbar systematische Struktur in ein vibrierendes Feld kleiner Abweichungen. Das Raster wird zu einer Zeichnung des Zufalls.
Alle drei Werkreihen kreisen um dieselbe Fragestellung: Wie lässt sich Ordnung im Moment ihres Entstehens auflösen? In der Überlagerung, im Schnitt und im Rhythmus der Wiederholung entstehen Varianten eines Systems, das sich selbst offenlegt. Scharps Arbeiten bewegen sich in dem Moment, in dem Struktur und Fragilität, Kontrolle und Loslassen miteinander in Balance geraten.
Diese Ausstellung wurde gefördert durch den Else-Heiliger-Fonds (EHF 2010) der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
