Haus-Rucker-Co

- Stadt von Morgen

19.1. –  8.2.2020



Haus-Rucker-Co – Stadt von Morgen
von Boris Hars-Tschachotin

Ende der 1960er Jahre war eine Zeit des Auf- und Umbruchs. Alles schien möglich, insbesondere in der Kunst, deren Protagonisten sich häufig als Impulsgeber für gesellschaftlichen Wandel verstanden. Die wilde Freude am Experimentieren, an der politischen Provokation und die Überzeugung, mit starken kreativen Neuerungen Einfluss auf die Gesellschaft nehmen zu können, mündeten in einer Fülle von aufsehenerregenden Stoßrichtungen in der Kunst, die teilweise bis heute Nachwirken.

Eine dieser kraftvollen Impulsgeber war Haus-Rucker-Co, eine Künstlergruppe, die sich 1967 in Wien formierte und einen radikal neuen Umgang mit der Architektur forderte. Zu den Gründungsmitgliedern Laurids Ortner, Günter Zamp Kelp und Klaus Pinter gesellte sich ab 1971 Manfred Ortner. Der Name der Gruppe bezog sich zum einen auf ihre Herkunft, der oberösterreichischen Gegend des Hausrucks, zum anderen aber auf die programmatische Zielsetzung der jungen Architekten und Künstler. Sie wollten den klassischen Häusern einen tüchtigen Ruck geben, um Platz für neue, urbane Räume und Ideen zu schaffen. Man verstand sich als „Haus-Verrücker“, kurz: Haus-Rucker, und bewegte sich eloquent und mit enormer Medienwirksamkeit zwischen Architektur und Kunst.

Geruckt wurde mit großer Spielfreude an der Wahrnehmung des Individuums sowohl auf visuell-auditiver, als auch auf räumlicher Ebene. Sei es mit den vielgestaltigen Objekten, die sich unter dem Begriff des „Mind-Expander“ zusammenfassen lassen, oder den pneumatisch verdichteten Architekturen aus Plastikfolie und Stahl.

Die Nutzer*innen sollten durch den Einsatz der Geräte, wie beispielsweise dem „Environment Transformer“ (1969), eine grundlegende Verstärkung der visuellen Wahrnehmung der Welt erfahren, die meist mit einer deutlichen Verfremdung einherging. „Als Ziel stand vor Augen, aus den Bildern der Umwelt direkt den Saft für rasche und totale Erweiterung des eigenen Bewusstseins zu pressen, kalt-mechanisch, im Unterschied zur heißen Chemie der Drogen.

Die science fiction-artigen Stadtgestaltungen von Haus-Rucker-Co stülpte sich als transparente Blasen aus den Fenstern existierender Gebäude. In luftigen Höhen schwebten PVC Kugeln wie fragile Taucherglocken aus den steinernen Architekturen und boten den Insassen ganz überraschende, neue Aussichten auf althergebrachte Stadträume. „Architektur als wohlwollender Transformer, der das Bewusstsein seiner Nutzer direkt zu prägen imstande ist.“  Diese bewusstseinserweiternden, irdischen Wohnkonzepte waren zudem eine Antwort auf das technikbegeisterte Space-Age mit seinen Landungsversuchen auf dem Mond. Scheinbar frei von Schwerkraft eröffneten die temporären Erlebnisarchitekturen wie der „Ballon für Zwei“ oder das „Gelbe Herz“ unbeschwerte Überlegungen zur gewitzten Reform urbaner Räume im runden Design weicher, häufig mit knalligen Popfarben belegter PVC-Welten. Haus-Rucker-Co war mit ihren bahnbrechenden Architekturvisionen nicht allein. Der Avantgardist Richard Buckminster Fuller hatte bereits seit den 1940er Jahren mit vielfältigen Domstrukturen oder den sogenannten Fuller-Kuppeln gearbeitet. Auch gab es Parallelen zu der Gruppe Archigram in England ebenso wie zu den Kollegen Coop Himmelb(l)au in Wien.

Anfang der siebziger Jahre kippte das kunterbunte, unbeschwerte Experimentieren bei Haus-Rucker-Co ins Kritische. Mit der grassierenden Umweltzerstörung einerseits und dem ungebremsten, atomaren Wettrüsten andererseits wandelte sich die optimistische Leichtigkeit der Arbeiten in eine lebenserhaltende Dringlichkeit, bei der die Blasen und die groß angelegten Umhüllungen die Menschen vor dem Untergang bewahren sollten. In einem Text von Haus-Rucker-Co heißt es 1971 seherisch und pessimistisch: "Unter Smogdecken sind Städte begraben. [...]Die Straßen haben sich in Gaskammern, die Flüsse in zähe Giftbrühen verwandelt. [...] wandernde Müllberge fressen Gras und Bäume. Keine Science-fiction-Story. Das ist der Planet Erde." Ein Jahrzehnt später schafft Ridley Scott mit Blade Runner ein filmisches Pendant zu dem von Haus-Rucker-Co beschriebenen Albtraum. in dem er einen verseuchten wie unentrinnbaren megstädtischem Hades heraufbeschwört. Die Dystopie Scotts, die 1982 in die Kinos kommt, greift 37 Jahre voraus und spielt in Los Angeles im Jahr 2019. Haus-Rucker-Co hatte bereits 1971 mit ihrer legendären Ausstellung „Cover -- Überleben in verschmutzter Umwelt" die Stadt von morgen visioniert und über einen fiktiven Zeitsprung in die Zukunft ein „Leben in synthetischen Reservaten“ vorgeführt. Eine riesen Blase aus heller Kunststofffolie überspannte das Krefelder Museum Haus Lange nebst angrenzendem Garten. Die Installation lud Besucher*innen ein, diese abgründige Arche Noah zu besuchen und ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was es bedeutet, in einem durch Umweltverseuchung zerstörten Planeten zu überleben.

Die in der Ausstellung gezeigten Zeichnungen, Kollagen, Modelle und Foto- und Filmdokumente werfen Schlaglichter auf die Stadt von morgen, indem sie sowohl die bewusstseinserweiternden Objekte und pneumatischen Architekturen als auch die Reservate in Kuppel- oder Kugelform zeigen. Letztere hinterfragen kritisch unser Verhältnis zu Natur- und Stadt-Räumen, in denen künstliche Kultur- und Naturlandschaften zusammengeführt und ineinander verschränkt werden. In Zeiten der globalen Klimakatastrophe und der Suche nach Überlebensstrategien haben die visionären Überlegungen von Haus-Rucker-Co im Hinblick auf die Stadt von morgen nichts an Aktualität eingebüßt. So ist Haus-Rucker-Co bis heute für eine Vielzahl von aktuellen künstlerischen Positionen weltweit eine entscheidende Inspirationsquelle, wie das beispielsweise in den Arbeiten von Olafur Eliasson, Tomás Saraceno oder der Gruppe Raumlabor Berlin zu sehen ist.

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HRC Band 1, S.13
HRC Band 1, S.12
Bogner 1992, 57, Haus-Rucker-Co