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Strained Terrain

Charlotte Bastian
Betty Böhm
Edward Burtynsky
Rosalind Lowry
Thomas Wrede





Die Ausstellung  Strained Terrain  bei B-Part Exhibition thematisiert als Teil des EMOP Berlin (European Month of Photography) die künstlerische Beschäftigung mit der Natur und deren tiefgreifende Veränderung durch menschlichen Einfluss. Präsentiert werden Werke von fünf Künstler*innen, die auf vielfältige, zumeist rein fotografische Weise die Folgen des Anthropozäns für Landschaft und Klima visualisieren und überdenken. Dabei stellt sich vehement die Frage, (bis) zu welchem Grad Welt vorhanden ist – und für wen.


Die Berliner Künstlerin Charlotte Bastian setzt aus Fotografien unterschiedlicher Orte und Zeiten neue Landschaften zusammen – zu Collagen und dreidimensional wahrnehmbaren Raumbildern. Ohne dokumentarisch sein zu wollen, lässt die Künstlerin aus meist zwei bis drei fotografischen Szenen und Motiven, die tatsächlich ganz unterschiedliche, von ihr selbst – teils mit Drohnen – fotografierte Orte weltweit abbilden, eine visuell auf kognitive Dissonanz zielende Ungleichzeitigkeit und Unverortbarkeit entstehen. Es handelt sich um unheimliche Stimmungen hervorrufende Bildwelten, in denen Restnatur, vermeintliche Idylle, Ödnis und beschädigte Architektur gleichermaßen aufeinandertreffen. Schon als Prints in 2-D-Ansicht, dann analog collagiert, wirken Bastians Fotocollagen nachdrücklich. Wenn Bastian, wie nun hier, diese Arbeiten durch ein Stereoskop sichtbar macht – ein Apparat zur Wiedergabe von statischen Bildern, mit dem ein räumlicher Eindruck von Tiefe hervorgerufen wird, der nicht den physischen Tatsachen entspricht – erzielt die Methode der Collage eine umso bedrohlicher wirkende Unmittelbarkeit, werden die Bilder durch den Apparat nahezu immersiv. Illusionen unmittelbarer Tiefe erzielt Bastian auch durch ihre ebenso in der Ausstellung gezeigte Arbeit in Lentikulardrucktechnik: eine im Wasser versunkene Landschaft mit Architekturresten, die unter- und oberhalb des Wasserspiegels gleichzeitig kaum mehr bewohnbar erscheint.


Das Interesse der in Nordirland lebenden Künstlerin Rosalind Lowry gilt der Kommerzialisierung von Land, dem kulturellen Erbe und damit verbundener Folklore nun verschwindender Landschaft. Es gilt der ökologischen Zerstörung und den daraus resultierenden sozialen Konflikten in Irland, etwa die Geschichte und die Folgen der Allgemeinen Landrechte, der Common Land Laws betreffend. In ihren zwischen Land Art und Landschaftsfotografie situierten Arbeiten erschafft Lowry eine neuartige, imaginäre Umwelt, um das Verschwinden von Arten und Landschaften in Irland sowie die Auswirkungen der Kommerzialisierung des Landes aufzuzeigen. Ort- und zeitspezifisch nutzt die Künstlerin die Kraft der (dokumentierten) Intervention, um auf diese zeitgenössischen Fragen so poetisch wie eindringlich reagieren zu können.


Seit mehreren Jahren arbeitet der in Münster lebende und in Essen lehrende Thomas Wrede in den Alpen an dem Fotoprojekt „Weiß war der Schnee“. Den Ausgangspunkt seiner in Strained Terrain gezeigten fotografischen Arbeiten bilden der Rhone- und der Presena-Gletscher in der Schweiz. Dabei beschäftigt ihn die Frage, wie sich die Klimakrise im Hochgebirge widerspiegelt – in dem verhüllten Gletscher ebenso wie in den Verfärbungen des schmelzenden Eises und Schnees. Wrede dokumentiert großflächige, vorgefundene „Inszenierungen“, bei denen mittlerweile teils verwitterte Schichten aus Tüchern, Folien und Vliesbahnen eingesetzt werden, um – im Auftrag der Tourismusbranche – den Schmelzprozess zumindest zu verlangsamen. Gleichzeitig widmet er sich den unterschiedlichen Farbnuancen des nun verunreinigten Schnees und Eises. So zeigen sich die Spuren der Klimakrise in der Farbigkeit und Materialität. Gleichzeitig machen die (hilflosen) Eingriffe des Menschen die Verwundbarkeit der Natur umso sichtbarer. Diese Spannung zwischen Schönheit und Vergänglichkeit prägt Wredes Arbeit, findet Ausdruck in seinen Fotografien.


Die durch die Industrie veränderte Natur ist ein vorherrschendes Thema in den Arbeiten von Edward Burtynsky. Vor einigen Jahren begann der kanadische Fotograf mit der Ausarbeitung einer zeitgenössischen Sicht auf die großen Zeitalter der Menschheit: die Zeitalter des Steins, der Mineralien, des Öls, des Transports oder des Siliziums. Um die damit verbundenen Konzepte sichtbar zu machen, suchte Burtynsky nach Motiven, die gleichzeitig so detailreich und maßstabsgetreu wie offen in ihrer Bedeutung sind, etwa Recyclinghöfe, Abraumhalden, Steinbrüche und Raffinerien. Es sind Orte wie diese, die sich unserer täglichen Erfahrung entziehen, an deren Entstehung und Aussehen wir durch unser Konsumverhalten jedoch keinen geringen Anteil haben. Die betrifft auch die abgebildeten Orte der beiden für Strained Terrain ausgewählten Fotografien: Eine Trockenfeldbaulandschaft in Spanien (aus dem Werkzyklus „Water“) und eine Eisenmine in Südafrika (aus dem Werkzyklus „African Studies“). Seine Bilder sind, so Burtynsky, „als Metaphern für das Dilemma unserer modernen Existenz gedacht; sie suchen nach einem Dialog zwischen Anziehung und Abstoßung, Verführung und Angst. Wir werden von der Sehnsucht nach einem guten Leben getrieben, und doch wissen wir – bewusst oder unbewusst –, dass die Welt unter unserem Erfolg leidet. Unsere Abhängigkeit von der Natur, die uns die Materialien für unseren Konsum liefert, und unsere Sorge um das Wohlergehen unseres Planeten bringen uns in einen unangenehmen Widerspruch.“ In diesem Sinn sind Burtynskys Bilder nicht nur für ihn als ein Spiegelbild unserer Zeit zu lesen.


In den Projekten der Berliner Künstlerin Betty Böhm steht der Einfluss der Spezies Mensch auf unseren Planeten (und über diesen hinaus) im Mittelpunkt. Der menschliche Expansionsdrang, damit verbundener fortwährender Extraktivismus und zumeist gewaltsame Aneignung hinterlassen direkte und indirekte Spuren: verwundete Landschaften, veränderte Orte und zerstörte Strukturen. Besonders interessieren die Künstlerin die Einschreibungen vergangener Ereignisse, die an diesen Orten nachhallen und unser kollektives Bewusstsein prägen. Böhm spürt solchen Landschaften nach, um sie in ihrer Ambivalenz zu porträtieren. Durch einen transdisziplinären Ansatz, der Fotografie, Film/Video, Installation, Sound und Performance vereint, verwebt Böhm dokumentarische und recherchebasierte Elemente mit subjektiven und poetisch-assoziativen Ebenen. Es entstehen immersive, sinnliche Innenlandschaften, die die Betrachtenden in einen vielschichtigen Erfahrungsraum eintauchen lassen. So auch in ihrer in Strained Terrain gezeigten Installation „Grove (resurrection)“: hier verschmelzen funktionale und dysfunktionale Elemente von Waldlandschaften auf verschiedenen Bildebenen zu einem Spiegel anthropogener Dominanz. Abgestorbene Bäume sind aufgerichtet, während andere durch Bauholz und Farbe nachgebildet wurden. Gleichzeitig gewähren hängende und liegende Fotoprints Einblicke in aktuelle Zustände alpiner Wälder. Das Werk zeigt eine Landschaft im Wandel – zunehmend künstlich, geprägt von menschlichem Einfallsreichtum, aber auch von Hilflosigkeit und den Überresten menschlicher Vorherrschaft. So entsteht eine zugleich verstörende und faszinierende zeitgenössische Landschaft.



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Der Ausstellungsraum B-Part Exhibition begleitet die künftige Entwicklung der Urbanen Mitte Am Gleisdreieck mit künstlerischer Autonomie und tritt somit zugleich in einen Dialog mit den übergeordneten Themen des Gesamtprojekts – Formen des New Work, Co-working, Kultur und Sport – und schafft Synergien zwischen künstlerischen, kulturellen und sozialen Ansätzen. Künstlerischer Leiter des B-Part Exhibition ist Rüdiger Lange (loop – raum für aktuelle kunst).