Zu einem neuen Ganzen







Die Gruppenausstellung Zu einem neuen Ganze widmet sich als Teil der Reihe Images of Architecture* dem Thema der Collage als analytischer Methode. Collage wird dabei in den gezeigten Arbeiten – zumeist kleineren Formaten – als ein künstlerisches Konzept vorgestellt, bei dem durch die Verwendung verschiedener Materialien (Mixed Media) und unterschiedlicher Techniken wie Fotografie, Malerei oder 3D, Erkenntnisse über das mal haptischere, mal digitalere Mit- und Nebeneinander des Abgebildeten transportiert werden. Fragen zum Wesen der Fotografie in architekturbezogener Collage stehen dabei im Mittelpunkt, während an den Rändern immer wieder neu definiert wird, was Collage ist und mit welchen verwandten Techniken – so der Montage – sie sich hier kreuzt. Als künstlerische Herangehensweise, die die aktuellen Fragmentierungen bildhafter Wahrnehmung ebenso aufgreift wie durch Überzeichnung produktiv konterkariert, stellt sich Collage in der Ausstellung als eine bewusst kritische, konstruktive und fortlaufend progressive Technik vor.
Als künstlerisches Mittel, um insbesondere architektonische Formen und Details in neue Kontexte und Konfigurationen zu setzen, stellt die Collage dabei auch immer unsere Lust am Wiedererkennen auf die Probe: Handelt es sich bei Katja Pudors, mit dem modernistischen Motiv des Rasters spielender Arbeit „Future Proof #1“ wirklich um Abbildungen von Le Corbusiers Villa Savoye im Rohbau und eines ehemaligen Kirchengebäudes von Werner Düttmann in der Seitenansicht, oder lässt uns das Zusammenspiel der Formen dies nur vorauseilend erahnen? Wo in Till Exits „L'espace Double“ ist oben und unten, was Vorlage und was Abbild, und handelt es sich überhaupt um den gleichen Raum? Dass in Sinta Werners räumlicher Fotocollage ein Detail des Eiffelturms zu sehen ist – keine Frage. Aber ist es die gleiche Person, die wir zweimal sehen, gar das gleiche Bild, nur variiert und so verdoppelt? Ist die unmittelbar wirkende optische Täuschung bei zwei in wilde Flora eingebetteten, brutalistischen Staumauerabschnitten in Vanessa Henns Collage ein Vorschlag zur architektonischen, gar statischen Verbesserung? Wieso scheint der in Andrea Pichls Collage dargestellte, durch Fäden modular und modernistisch gekachelte Raum wie ein harmloses 50er-Jahre-Interieur, während sich das angeeignete Motiv, in vermutetem Kontrast dazu, einer Kampagne zur Kontrolle weltweiten Waffenhandels bedient – Referenz an die politische Fotomontage? Und warum – aus einer Berliner Perspektive – sind es vor allem die Collagen mit dem Stadtraum der Hauptstadt, die uns scheinbar Vertrautes in ungewohntes Licht zu rücken helfen: seien es Frank Coldeweys in mehreren Schichten bearbeitete und so collagierte Ansichten einer Stadt im Umbau, Ronny Lichtenbergs so ironische wie kritische Kreuzberger Pop-Art-Referenzen oder Evols Vexierspiel mit einem scheinbar fotografisch erstellten, tatsächlich gesprayten Motiv bei gleichzeitig unerwarteter (Pappe) Materialverwendung?

Auch in der Arbeit von Juliane Duda ist Berlin Thema: mit den Mitteln der Collage schiebt die Künstlerin in dem Bild „Hansestadt“ (2003) ein Betriebsgelände in der ehemaligen Hansestadt Wismar vor den Rohbau eines von Aldo Rossi entworfenen Gebäudekomplexes in der ehemaligen Hansestadt Berlin. Ähnliche Stimmungen hervorrufende Bildwelten, in denen Restnatur und beschädigte Architektur gleichermaßen desolat aufeinandertreffen, zeigen die Bilder von Charlotte Bastian. In geradezu immersiver 3D-Ansicht, mit technischer Apparatur wahrzunehmen, erzielt die Methode der Collage hier eine bedrohlich wirkende Unmittelbarkeit.

Physisch dreidimensional hingegen ragt der fragile Quader von Axel Lieber in den Ausstellungsraum: durch das weitgehende Entfernen der Bildinhalte von zum geometrischen Körper umgebauten Comicseiten, entsteht ein nur auf den ersten Blick auf das Prinzip des Rasters setzendes architektonisches Gebilde, das auch ein ironisches Spiel mit der Idee des „White Cube“ treibt. Ähnliche architektonische Referenzen meint man auch in der „Modern Landscape“ von Thomas Ravens wieder zu erkennen, aber auch hier sind sie gebrochen, wenn auch diesmal kaum ironisch, sondern wie schwebend in eine Kluft zwischen Verheißung und Untergang eingepasst. Einen gänzlich anderen, historisch zu nennenden Blick rufen die Arbeiten von Haus-Rucker-Co und Stephen Willats hervor: Haus-Rucker-Co’s „Changer“ von 1972 zeugt von einem utopischen, wenngleich eskapistischem Verhältnis zu Natur- und Stadträumen, der „Lurky Place“ (1980) von Stephen Willats dokumentiert scheinbar eine vermüllte Einöde, tatsächlich sieht der Künstler in dieser bei London gelegenen Stelle ein Terrain für Aktivitäten, die außerhalb institutioneller, konformistischer Normen stehen.

Eine Blickveränderung auf eine vermeintliche (urbane) Einöde bewirkt auch die an der Schnittstelle von Collage und Montage operierende Arbeit von Henry Wegener – hier aber eher optisch als soziologisch gedacht: Der Künstler zeigt die gleiche Stelle am Eingang zur Berliner „Schwimm- und Sprunghalle im Europasportpark (SSE)“ aus zwei Perspektiven – eine für das menschliche Gehirn kaum nachzuvollziehende Simultaneität entsteht. Eine das Collagierte des Abgebildeten und der zu sehenden Materialien betreffende Gleichzeitigkeit des nicht Vorhandenen, jedoch knapp Denkbaren zeigt vergleichbar die Druckarbeit aus der neuen (2021) Serie „Balconing#5“ von Laure Catugier: Vertrautes und Befremdendes treffen hier ähnlich zusammen wie die Motive in dem Ölgemälde von Louise Bristow: handelt es sich um zuerst nachgebaute und dann nachgemalte Wirklichkeit oder existierten die zu sehenden Objekte und Bilder nie? Kann echte Collage auch gemalte Collage sein? Und was ist schon „echt“ im Angesicht eines Vulkanausbruchs?

Auch Ofra Lapid spannt einen Bogen zwischen Objekt und Bild: die ausgestellte Arbeit aus ihrer Serie „Broken Houses“ geht auf eine im Internet gefundene Fotografie eines durch Wettereinflüsse beschädigten realen Hauses zurück. Die Künstlerin baute es als Modell nach und fotografierte dieses in einer Studioeinstellung vor grauem Hintergrund, um es von seiner Umgebung zu isolieren. In der Arbeit von Susanne Bürner wiederum scheint jenes Verhältnis von Bild und Modell umgedreht: hier ist ein Bild von Architektur beschädigt, während die reale Architektur zwar außer Funktion, aber integer erscheint. Erst beim zweiten Hinsehen löst sich alles als Bild auf, verschwindet so auch die Vorstellung einer Trennung von fotografischem Modell und gebauter Wirklichkeit.
__

*Die Ausstellungsreihe Images of Architecture bei „B-Part Exhibition“ fragt nach den vielfältigen Spielarten des künstlerischen Aufeinandertreffens von Bild und Architektur. Der Charakteristik des Ausstellungsraumes entsprechend bewusst vom Bild her denkend, versammelt die Reihe in Einzel- und Gruppenausstellungen Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die verschiedene Wahrnehmungsweisen des Umgangs mit, des Blicks auf und des Bildes von Architektur zeigen.